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Thüringer
Allgemeine
vom 02.Januar
1999
"
ERFURTER
ALLGEMEINE
Tod der kleinen Cornelia
nach
Mandeloperation:
Schwere Vorwürfe gegen das
Klinikum
erhoben
Namhafter Göttinger
Gutachter:"kein Schicksal,
sondern Folge einer Reihe
ganz unverständlicher
Fehler in
HNO-Klinik"
Die Zeit heilt alle
Wunden, heißt es. Nicht
aber die von Eunice und
Manfred Bärwolff. Vor über
zwei Jahren starb ihre
damals siebenjährige
Tochter Cornelia nach
einer Mandeloperation im
Klinikum. Sie war der
ganze Stolz des Erfurter
Ehepaares, sein Ein und
Alles. Das einzige Kind,
Opfer einer
verhängnisvollen
Nachblutung und - offenbar
gravierender fachlicher
Fehler und Unterlassungen
sowie organisatorischer
Mißstände in der
HNO-Abteilung des
Klinikums.
September 1996 waren
Cornelia im Klinikum die
Mandeln herausgenommen
worden. Sechs Tage später
durfte sie wieder nach
Hause, den nächsten Tag
erlebte sie nicht mehr.
Kurz vor Mitternacht
ereilte sie eine starke
(nicht unübliche)
Nachblutung - die Tragödie
nahm ihren Lauf. Es
dauerte rund eine Stunde,
ehe das Mädchen mit einem
Krankenwagen ins Klinikum
gebracht wurde, wo man in
der HNO-Abteilung die
ganze Zeit schon über den
eintreffenden Notfall
Bescheid wußte. Einen
Rettungswagen hatte die
notdiensthabende
Hausbesuchs-Kinderärztin
nicht für nötig
erachtet.
In der HNO des Klinikums
angekommen, verabschiedete
sich die Kinderärztin ohne
eine Übergabe an einen
Facharzt. Solch einer war
auch gar nicht zugegen,
sondern nur ein Arzt
im
Praktikum (AiP)
, der sowohl in der
Wartephase als auch lange
danach darauf verzichtete,
die zuständige Oberärztin
des Hintergrunddienstes zu
verständigen. Statt dessen
und entgegen einer
dringend angeratenen
Operation entschied er,
Cornelia zur Beobachtung
auf die Bettenstation zu
bringen. Dort kam es
anderthalb Stunden nach
der Einlieferung zu einem
erneuten massiven
Blutsturz. Wenige Tage
später wurden die Apparate
auf der Intensivstation
abgestellt, die
Siebenjährige für hirntot
erklärt ( TA berichtete
seinerzeit ausführlich
).
Eunice und Manfred
Bärwolff fanden seitdem
keine Ruhe mehr. Daß ihre
Tochter nicht mehr bei
ihnen sein darf, schreiben
sie vor allem den
Vorgängen in der
HNO-Klinik zu. "Die
Mediziner haben in jener
Nacht der Nachblutungen
den Beweis angetreten, daß
selbst bei Anwesenheit
über Stunden in dieser
Fachklinik Cornelia jede
Chance zum Weiterleben
gnadenlos genommen wurde",
formuliert der
fassungslose
Vater.
Schwere Vorwürfe erhebt
Familie Bärwolff aber auch
gegen die Erfurter
Staatsanwaltschaft. "Sie
hat die Hände bislang nur
in den Schoß gelegt.
Subjektiv haben wir den
Eindruck, daß nicht dem
Opfer, sondern den Tätern
geholfen wird", ist
Manfred Bärwolff
enttäuscht. "Wo man
eigentlich davon ausgehen
sollte, daß diese Behörde
im Sinne der Aufklärung
alle Hebel in Bewegung
setzt, müssen wir uns um
Gutachten kümmern und auf
wichtige Zeugen hinweisen,
die bis heute noch nicht
einmal vernommen wurden."
So sind beispielsweise die
Kinderärztin, der AiP, die
empfangende Schwester an
der Pforte, der
Anästhesist oder der
HNO-Chefarzt von den
Ernittlungsbehörden
bislang nicht zwecks einer
Aussage geladen
worden.
Dafür hat die
Staatsanwaltschaft nach
knapp einem Jahr ein
Gutachten in Auftrag
gegeben. Darin zeigt
Prof.Dr.Eggert Beleites,
Chef der HNO-Abteilung der
UNI-Klinik Jena und
Präsident der
Landesärztekammer
Thüringen, zwar jede Menge
Fehler und Unterlassungen
im besonderen durch den
AiP auf, bringt sie aber
nicht zwingend in
Zusammenhang mit dem Tod
von Cornelia. Häufig
verwendet Beleites das
Wort vielleicht und stellt
fest, daß andere
Ergebnisse als die
tatsächlichen bei
sinnvollerem Ablauf nicht
unbedingt hätten eintreten
müssen.
Dabei unterlief dem Jenaer
Professor jedoch ein
schwerwiegender und
entscheidender Fehler in
seiner Betrachtung. Dies
betrifft den Schockindex,
der sich aus dem
Verhältnis von Puls zu
Blutdruck ergibt. Beleites
geht in seinem Gutachten
von einem Puls von 124 und
einem oberen Blutdruckwert
von 150 bei Cornelias
Einlieferung und weiteren
Messungen aus, was einen
Schockindex von 0,83
ergibt. Ein manifester
Schock liege erst ab 1
vor. Genau das war jedoch
der Fall. Denn in den
Krankenblattunterlagen,
die auch ihm zugänglich
waren, finden sich bei
drei Messungen ganz andere
Werte. Demnach lag eine
ganz handfeste
Schocksituation (
Index:1,28 bzw.1,24 ) vor.
Allein anhand dieser
Erkenntnis erübrigen sich
ganze Passagen des
Gutachtens von
Beleites.
"Er legt teils falschen
Sachverhalt seiner
Beurteilung zugrunde,
setzt sich über die
fachnäheren Ausführungen
der Gerichtsmedizin sowie
des intensivmedizinischen
Gutachtens hinweg und ist
offenbar bestrebt, seinen
ehemaligen Schüler (den
AiP - d.A.) zu entlasten",
betont Bärwolffs Anwalt,
der auf
Medizinschadensfälle
spezialisierte Jürgen
Korioth aus Hennef. "Es
ist schlechterdings
unvorstellbar, daß ein
Arzt im Praktikum, der die
Grenzen seiner Fähigkeiten
nicht erkennt, obwohl er
sie gleichwohl hätte
erkennen müssen, zu einem
Dienst in einer großen
Klinik eingeteilt wird, wo
jederzeit mit Notfällen zu
rechnen ist. Hier keine
entsprechenden Anweisungen
zu geben bzw. durch
schriftliche Anweisungen
zu belegen, ist ein
schwerwiegendes
Organisationsverschulden,
welches den Chefarzt der
Abteilung in persona
betrifft. Es ist so
ziemlich alles falsch
gemacht worden, was falsch
zu machen ist", so
Korioth.
Ein durch ihn im Auftrag
seines Mandanten
eingeholtes neuerliches
Gutachten des nahmhaften
Göttinger
Universitäts-Professors
Jürgen Stoffregen stützt
diese Anschuldigung.
Stoffregen stellt fest:
"Bei der zweiten
Nachblutung ist das Kind
durch erbrochenes Blut
erstickt, spätestens ca.
10 min. später im OP bei
der Intubation. Seit
dieser Zeit war es nur
noch ein 'enthirntes
Präparat'. Alle danach im
Klinikum Erfurt noch
durchgeführten Maßnahmen
waren sinnlos und dienten
nur der Optik." Und weiter
zur Ursache des
Herzstillstandes: "Der
Anästhesist hat
versehentlich in die
Speiseröhre intubiert und
infolgedessen (eine halbe
Stunde - laut Gutachten)
statt der Lunge den Magen
beatmet." Ungeachtet
dessen hätte es aber auch
aufgrund des über Stunden
nicht ersetzten verlorenen
Blutes zu einem
Kreislaufstillstand kommen
können. Ein Volumenersatz
wäre sofort nötig
gewesen.
Doch die Kette der fatalen
Fehler begann nach Ansicht
Stoffregens schon mit der
Erstinformation in der
HNO-Klinik. Auszüge aus
seinem Gutachten: "Nachdem
das Kind zuhause bereits
massiv nachgeblutet hatte,
war die Gefahr sehr groß,
daß sich die Blutung
wiederholen würde. Das war
vorhersehbar.
Infolgedessen war es ein
grober Fehler des AiP, das
Kind nicht sofort bei
Ankunft in den
vorbereiteten OP bringen
zu lassen. ...Die konträre
Handlungsweise des AiP...
grenzt schon an
Vermessenheit." Stoffregen
lastet dem AiP, der im
übrigen inzwischen als
zugelassener Arzt am
Klinikum tätig ist,
überdies an, nicht sofort
einen venösen Zugang
gelegt und den
Hintergrunddienst
informiert zu haben, daß
er kein Blutbild machen,
keine Blutkonserven
bereitstellen ließ. Nach
der erneuten Nachblutung
wäre der AiP "kopf- und
hilflos gewesen",
schlußfolgert Anwalt
Korioth. "Bei Einhaltung
nur einfachster
fachärztlicher Sorgfalt
wäre das Kind zu retten
gewesen."
Im Gutachten von Beleites
fällt Stoffregen nicht nur
auf, "daß konkrete Daten
fehlen, vor allem die
relevanten Uhrzeiten", er
bewertet es an einer
anderen Stelle auch als
eine "erstaunliche
Verniedlichung des
schweren persönlichen
ärztlichen und
organisatorischen
Verschuldens". Der
Göttinger
Universitäts-Professor
kommt abschließend zu dem
Urteil: "Der Tod der noch
sieben Jahre alten
Cornelia Bärwolff war
nicht schicksalhaft,
sondern die Folge einer
Reihe ganz
unverständlicher Fehler.
In erster Linie trifft der
Vorwurf den AiP, der sich
bei dieser Aufgabe in
unverantwortlicher Weise
übernommen hat. Aber weil
er Arzt im Praktikum war,
gilt der Vorwurf nicht
minder für die Leitung der
HNO-Klinik im Sinn des
Organsationsverschuldens."
Jörg HEISE
(Bildunterschrift) ENTSCHLOSSEN: Manfred
Bärwolff denkt nicht an
Aufgabe und bringt wie
hier vor der
Staatsanwaltschaft immer
wieder den tragischen Tod
seiner Tochter in
Erinnerung.
"
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